Wo soll der Kopf hin?

Die Frage, wo in welche Position das Pferd tragen soll, ist glaube ich die am meisten kontrovers diskutierten, reiterlichen Fragen überhaupt.  Aus biomotorischer Sicht ist sie dagegen sehr einfach und plausibel zu beantworten: „da, wo das Pferd in der Lage ist seinen Hals zu tragen, ist die richtige Position“.

Nun wird sich ein Reiter mit dieser Antwort nicht zufriedengeben, genauso wenig, wie der Körper des Pferdes, denn wenn man nichts macht, ist die Schwerkraft, die den Hals nach unten zieht, eine viel zu große Macht. Und wird damit ganz schnell zum Feind des Pferdekörpers, denn der schwere Pferdekopf unterstützt von der Schwerkraft, rutscht unweigerlich und unaufhaltsam nach unten.

Wenn man nichts daran ändert! Und das ist der Punkt, an dem sich die Reiter der Jahrhunderte die Zähne ausgebissen haben. Denn jede bewusste Einflussnahme kommt erschwerend zu der Einwirkung der Schwerkraft dazu. Jede bewusste Manipulation, bringt im Gegenteil die hauseigene Aufrichtung aus dem Konzept, die Möglichkeiten zur Aufrichtung werden immer schwächer und der Hals rutscht nach unten.

Deshalb kann man sagen: Je mehr wir als Menschen an der Kopf/Hals Position manipulieren, desto schwerer tun wir es dem Pferd, seinen eigenen Kopf zu heben.

Aber natürlich ist es wichtig dass der Hals in Aufrichtung kommt –  wie ich es an vielen anderen Stellen schon geschrieben habe. Die Körperplastizität – also die optimale Körperposition für das Betriebssystem und das Bewegungssystem des Pferdes ist eine Frage der Aufrichtung. Bevor wir uns aber anschauen, wie man den Hals richtig unterstützen kann, sehen wir uns an – was der Hals alles anrichten kann. Damit bekommt der Hals des Pferdes für viele eine völlig unerwartete Wichtigkeit.

Der Hals als Vermittler zwischen Gehirn und Körper

Als erstes muss man sich bewusst machen, dass der Hals in einem ständigen Clinch mit der Schwerkraft ist, denn die Schwerkraft will ihn runterziehen und der Hals will nach oben. Das ist auch der Grund, warum das Pferd einen Unterhals entwickelt. Denn wenn das Pferd z.B. beim Grasen den Kopf heben möchte und es hat keine gut ausgebildete Trage-und Aufrichtemuskulatur dann drückt es mit den Muskelschichten der Halsunterseite den Kopf nach oben. 100mal am Tag gemacht, und schon trainiert man den schönsten Unterhals – und trainiert gleichzeitig die Aufrichtemuskulatur ab.

Der Hals des Pferdes – ihr Freund und Feind

Der Unterhals ist es übrigens auch, den ihnen das Pferd in die Hand drückt. Denn eine kleine Anspannung dieser vier Muskelschichten reicht, um eine weiche Verbindung zwischen Maul und Hand zu stören. Wenn es ihnen allerdings gelingt die vier Muskelschichten so zu aktivieren, dass der Kopf wie eine Kugel auf dem Hals balanciert wird – dann wird er plötzlich zu ihrem Freund. Dann übernimmt er nämlich nicht nur die Balancesuche des Kopfes, sondern sogar – weil er ein wichtiger Teil der Wirbelkette ist – die Balancesuche des ganzen Pferderumpfes zusätzlich.

Ich glaube, ich brauche nicht extra erwähnen, dass der richtige Halsaufbau in seinen vier Schichten das Objekt unserer Begierde im biomotorischen Training ist…

Die negative Wirkung des Halses

Aber zurück zu den negativen Wirkungen des Halses. Sobald der Hals nach unten sinkt, erzeugt er einen „Rundrücken“ – er drückt den Brustkorb nach innen und den Kopf nach vorne unten. Denken Sie dabei einfach an Quasimodo, den Glöckner von Notre Dame. (es wird mir immer unverständlich bleiben, warum so viele Reiter ihr Pferd in dieser Fehlstellung, Bewegungseinschränkung und Zwangshaltung ausbilden?) Das bringt nicht nur ästhetische Probleme (wer will schon sein Pferd wie Quasimodo rumlaufen lassen, wenn man ein stolzes, erhabenes Pferd haben kann).

Denn neben den offensichtlichen Wirbelproblemen der gesamten Wirbelkette hindert diese „Haltung“ (muss mit Kraftaufwand von den Muskeln gehalten werden – siehe Unterhals) den Brustkorb daran, tief einzuatmen.

Übung Brustbein:

Die Wirkweise des Körpers können Sie übrigens ganz einfach an sich erfühlen. Schauen sie geradeaus, und atmen Sie frei durch, so gut es geht. Sie werden bemerken, wie sich ihr Brustbein beim Ein- und Ausatmen hebt und senkt.

Nun schauen Sie nach unten und ziehen ihre Schultern zwei Zentimeter weiter nach vorne uns achten beim Ein- und Ausatmen wieder auf ihr Brustbein. Sie werden den erheblichen Unterschied merken, bei dem sie an Atemvolumen verlieren. Ihre nach vorne gezogenen Schultern hindern nun nämlich das Brustbein in seiner Bewegung und das Zwerchfell, das hinter dem Brustbein liegt, wird in seiner Atembewegung gehemmt.

Das Brustbein ist der Indikator für gutes Atmen

Da wir darauf schauen müssen, dass wir den Sauerstoffgehalt in den Zellen erhöhen, ist es wichtig dass die Atembewegung ungehindert fließen kann. Beim tiefer gehaltenen Kopf ist das nicht möglich, denn die dadurch stabilisierenden Vorderbeine hemmen die Atembewegung genauso wie ihre vorgezogenen Schultern. Das Zwerchfell ist in seiner Arbeit gehindert, denn das stark unter Druck stehende Brustbein schränkt die Bewegungsfreiheit des Zwerchfells massiv ein.

Dies entsteht wenn die Bauchmuskeln zu viel Zug ausüben – sei es weil sie verkürzt sind, oder auftrainiert sind – oder beides. Zu gleicher Zeit werden übrigens auch die Rippen als „Atemorgan“ in ihrer Tätigkeit eingeschränkt. So kann das Pferd seine Lunge natürlich nicht in vollem Umfang nutzen, passt sich aber dieser Fehlnutzung an. Das heißt, mit der Zeit verliert das Pferd ständig und fortlaufend an dringend benötigtem Atemvolumen.

Jetzt haben wir die Funktionseinschränkende Wirkung des tiefen Halses aber erst in einer ruhigen Position besprochen. Wenn das Pferd antrabt, oder galoppiert, dupliziert sich die dysfunktionale Wirkung. Das ist natürlich dramatisch, weil das Pferd zu dynamischen Bewegungen einen immensen Luftumsatz hat. Auf der einen Seite braucht das Pferd Bewegung, wie ja schon oft von mir geschrieben wurde – auf der anderen Seite kommt der Körper in ein tiefes Defizit.

Der arme Trapezmuskel

Kann sich das Pferd nicht in die Selbstaufrichtung begeben, wird der Trapezmuskel des Pferdes dazu gebraucht die Vorderbeine anzuheben. Dieses Hochziehen vom Trapezius kann übrigens auch an beiden Schultern unterschiedlich stark sein. Mit der Zeit verliert der Muskel aber die Fähigkeit sich elastisch und sich zu entspannen. Er verhärtet und atrophiert gerne und bereitet dem Pferd große Schmerzen im Widerristbereich. Die Scapula – der obere Kopf des Schultergelenkes wird dann von den straff gespannten Sehnen richtig gehend festgetackert, was die Bewegungsfreiheit des so wichtigen Schultergürtels enorm einschränkt.

Wenn man den Kopf des Pferdes übrigens dann mechanisch nach oben holt, können sehr leicht die gefürchteten Kissing Spines entstehen – die berührenden und dann verknöchernden Wirbel des Widerristes.

Das arme Genick

Aber zurück zum gerundeten Rücken des Pferdes, dass den Kopf unten tragen muss, und das Pferd nicht nur vom Atmen abhält. Denn er macht auch die Nackenmuskulatur des Pferdes unwillkürlich zum Gewichtheber. Als das Pferd noch jung war, hatte es hoffentlich eine weiche und entspannte Halsmuskulatur, die dazu diente, den Kopf, Kiefer und Zungenbein im Gleichgewicht zu halten. Später hat sich der schwere Kopf mit seinem Gewicht nach vorne verlagert. Sie können das auch noch mal testen, wie sehr das Brustbein dabei nach unten geht und „eingezogen“ wird.

Wenn der Kopf aber so weit nach vorne unten ist, wird er nicht mehr von der Aufrichtemuskulatur „getragen“ sondern muss von den Muskeln im Nacken „gehalten“ und vom Unterhals „hochgehievt“ werden. So ein Pferdekopf ist sehr, sehr, schwer, wie jeder bestätigen kann, der ein Präparat in der Hand hatte. Die Nackenmuskulatur des Pferdes muss sich also von der Funktion „Ausbalancieren“ zur Funktion „Halten“ umbilden. Das geht vor allem mit Steifheit und Schmerzen daher.

Übrigens beginnen viele Ganzkörperbewegungen des Pferdes im Hals (eigentlich fast alle!). Die Augen sehen etwas, der Kopf dreht sich in die Richtung und der Körper folgt (Wenn das Pferd seiner eigenen Aufmerksamkeit folgen kann, fühlt sich das übrigens ganz anders an, als wenn es zum „Stellen“ des Kopfes gezwungen wird). Schauen sie selbst doch gerade mal hinter sich…

Und dann schauen Sie noch mal hinter sich, senken den Kopf, aber halten Kopf und Hals fest, so dass alles im Rücken passieren muss. Das erinnert an alte Leute, nicht wahr? Für das Pferd dann eben noch schlechter, wenn auf seinem Rücken ein Mensch sitzt. Die Kopf-Vorne-Unten-Position und der damit verbundene Buckel (also das Gegenteil von elastisch und bewegungsfähig) sind übrigens die offensichtlichsten Merkmale für ein altes Pferd und lassen es schlapp, unterwürfig und gebrechlich erscheinen.

Also, lassen Sie die Aufrichtemuskulaturen für und nicht gegen den Pferdekörper arbeiten. Vermeiden sie den Rundrücken des Pferdes und die Kopf-Vorne-Unten-Position und natürlich das mechanische Hochziehen des Pferdekopfes. Regen sie stattdessen die Wirbel zur Selbstaufrichtung an. Wie das geht sehen sie im „biomotorischen Training“.