Wie fühlt sich Reiten an?

Vielleicht kann ich die Frage nach einem Gefühl, am besten mit den Beispielen vor den drei „Fotografen“ erklären. Der erste „Fotograf“ geht begeistert an einen wunderschönen Bergsee in einer tollen Stimmung – und macht ein Selfie von sich – in dieser Traumkulisse. Der zweite „Fotograf“ schwärmt genauso von dieser Gegend, fängt die schönen Momente ein, die aber leider auf dem Foto gar nicht mehr so rauskommen, wie „in natura“

Und der dritte „Fotograf“ der MACHT die Stimmung auf den Fotos! Er „sieht“ Momente und Situation nimmt deshalb Details wahr, die anderen verborgen sind, taucht in die Stimmung ein, atmet sie förmlich mit seinem Körper – und verschmilzt mit ihr. Das sind Naturfotos, die uns begeistern und wo wir später andächtig die Schönheit der Natur bewundern können.

Genauso fühlt sich ein Reiten an, bei dem sie mit dem Pferd verschmelzen, ihre Bewegungen, die Bewegungen des Pferdes atmen und sie ganz selbstverständlich mit ihm verbunden sind. Auch aus der Sicht der Gehirnforschung ist dieses Phänomen erklärbar. So wie die toll geschnittene Jeans mit ihrem Körper förmlich verschmilzt – und wie eine zweite Haut sitzt, können sie auch das Pferd als Teil ihres Körpers empfinden.

Alles eine Frage der Wahrnehmung!

Viele Probleme beim Reiten (bei Pferd und Reiter) entstehen durch die eigene mangelnde Körperwahrnehmung des Reiters. Und die eigene fehlende Körperkontrolle (die Kontrolle über SEINEN Körper – nicht über den des Pferdes) ersetzt der Reiter dann durch die ständige Kontrolle des Pferdes. Auch diesen Vorgang kann uns das Gehirn am besten erklären: Als Gruppenwesen, die von Geburt an von der Interaktion mit anderen Lebewesen „lernen“, hat sich unser Körper geradezu zu einem „Befehlsempfänger“ entwickelt. Die „Information“ eines Menschen wird also „vorrangig“ in ihrem Gehirn behandelt.

Ein Beispiel am Pferd: ihr Empfinden sagt ihnen, die Spannung die ihr Pferd hat, durch ein gefühlvolles „Weichwerden“ ihrer Finger aufzulösen. Genau in dem Moment sagt ihnen aber der Reitlehrer, sie sollen die Zügel mehr annehmen. Ihre Körperempfindung rutscht in den Hintergrund, und ihr Körper führt die vom Reitlehrer „angegebene“ Bewegung mehr schlecht als recht aus. Aber – ihr Körper „merkt“ sich die „erlernte“ Bewegung und wird sie in einer ähnlichen Situation wieder anwenden.

Was ist passiert?

Solange ihre Wahrnehmungsfähigkeit nicht ausgesprochen zuverlässig in ihrem Körper verankert und in ihre Bewegungen integriert ist, bricht ihr Körper „ihr“ eigenes Ausführungvorhaben ab, und führt den „Befehl“ aus. Beim Reiten ist das ein schleichender, aber dramatischer Vorgang. Denn sie „hören“ immer weniger auf ihr Pferd (auch nicht auf ihren Körper – auf ihr Bauchgefühl) sondern auf das was sie von außen gesagt bekommen, oder dann eben auch immer mehr auf ihren „Verstand“. Ihr Körper hält sich gerne an Regeln, Vorschriften, Vorschläge – und das macht er, weil das genetisch einfacher ist, auf jemand zu „hören“ – zu ge“horchen“.

Die Spirale zieht sich zu!

Es geht aber noch weiter – denn das Pferd spürt natürlich, dass sie die „Anfrage seines Körpers“  nicht beantworten. Es wird also seine „Frage“ – das ist meistens eine Unsicherheit des Pferdes – mit der es sich von ihnen Sicherheit „abholen“ möchte, deutlicher, noch deutlicher und immer deutlicher stellen. Merkt aber dabei immer stärker, dass sie ihm gar nicht zuhören – ihn in seiner Unsicherheit nicht verstehen. Das passiert einmal, das passiert zweimal – und beim drittenmal sind sie als Vertrauensperson draußen – das Pferd merkt instinktiv, dass es sich nicht auf sie verlassen kann, und ihnen in kritischen Situationen nicht vertrauen kann.

Missverständnisse

Mittlerweile führen Sie weiterhin mehr oder weniger brav und mehr oder weniger erfolgreich die Anweisungen des Reitlehrers aus. Merken aber auch, dass ihre „Hilfen“ die sie dem Pferd geben, überhaupt nicht durch- und ankommen. Sie reden ja konsequent aneinander vorbei. Also verstärken Sie ihre Hilfen – und das Pferd als Folge der Resonanz seine Signale, wird dabei aber – als Folge seiner Unsicherheit, um die es ja eigentlich gehen sollte – immer unwilliger.

Möglicherweise tut ihm vielleicht auch ernsthaft was weh – oder es möchte ganz einfach (was ja durchaus legitim ist, nicht gegen seinen Körper gehen). Irgendwann resigniert das Pferd und wird willenlos (der Mensch bezeichnet so ein Pferd gerne als „brav“) oder es baut einen Permanent-Widerstand ein, der den Körper mit Spannung überzieht – und gegen den sie in Zukunft kämpfen werden.

Drei Möglichkeiten von Reitern

Die erste Möglichkeit ist ein Reiter, der gelernt hat mit Muskelkraft zu reiten, seinen Körper auch mit Kraft und Muskeln ausgeprägt hat, und dem Pferd mit seinem Körper eine sehr deutliche Vorgabe gibt, die das Pferd nicht anzweifeln darf. Dieser Reiter geht zwar pausenlos an den Bedürfnissen und Signalen des Pferdes vorbei – aber durch die diktatorische „Führung“ des Menschen fühlt sich das Pferd in einer relativen Sicherheit – und wird seinen „Job“ machen, solange es der Körper zulässt. Dieses Pferd wirkt nicht unzufrieden – denn es kennt es ja nicht anders. Aber irgendwann versagt der Pferdekörper in seinen Funktionen– der Mensch hat die Signale und „roten Lampen“ nicht beachtet.

Die zweite Möglichkeit ist eine Reiter, der sich und sein Pferd weiterbringen möchte. Zu seinem regelmäßigen Unterricht besucht er viele Reitseminare und die gemeinsame Pferd-Reiter zeit ist angefühlt mit einem Programm, dass akribisch das „paukt“, was nicht geht. Dieses Pferd fühlt sich überhaupt nicht „abgeholt“ in seinen Problemen, körperlichen Bedürfnissen und Unsicherheiten. Die ganzen „Turnübungen“ die der Mensch mit ihm macht, machen für ihn keinen erkennbaren Sinn, und verstärken seine Unsicherheiten. Der Pferdekörper wird ständig davon abgehalten eigene Bewegungserfahrungen zu machen – die Folge daraus ist, dass das Pferd sein Körper- und Selbstbewusstsein verliert und zusehends unsicherer in seinem Körper wird – viel stolpert, und sich selber verletzt. Dieses Pferd wird mindestens ein Grundproblem mit seiner Atmung haben.

Die dritte Möglichkeit eines Reiters ist der, „der nichts möchte“ von seinem Pferd. In gelegentlichen Ausritten nimmt er den Pferdekörper so wie er ist, und möchte so wenig wie möglich „Einfluss“ nehmen auf das Pferd. Was dieser Reiter vergisst, dass diese „Permanent-Schonung“ – die größte Überbelastung für das Pferd bedeutet. Denn der Pferdekörper kann sich mit nichts, weder auf belastende Bewegungen noch auf die „Belastungen“ des Alltages vorbereiten. Dieses Pferd ist den täglichen Belastungen schonungslos ausgesetzt – und wenn diese Belastungen drohen, zu Überlastungen zu werden, reagiert der Pferdekörper mit Spannung. Auch diese Pferde haben mindestens ein Grundproblem mit der Atmung.

Mein Kommentar:

Die traditionelle Reiterei basiert auf einer Kraft- und Kontrollreiterei, die lange Zeit nur Männer durchgeführt haben. Die Frau als Reiterin kam erst sehr spät dazu. In den „Anwendungsgebieten“ des Pferdes wie z.B. im Krieg musste der „starke Mann“ auch tatsächlich viel Muskelkraft und Kontrollkraft über das Pferd einsetzen, denn oft ging es um Leben oder Tod.

Die Kraft liegt IM REITER!

Heute geht es nicht mehr um Leben oder Tod. Und heute reiten überwiegend Frauen – die Männer sind reiterlich gesehen auf dem Rückmarsch. Trotzdem versuchen die Frauen, die Kraftreiterei der Männer  aus den vergangenen Jahrhunderten zu übernehmen. Der Reiter – ob Mann oder Frau „vergisst“ dabei, dass seine eigentliche „Kraft“ in seinem Körper – in seiner Wahrnehmung steckt – mit der er dann auch die Bedürfnisse des Pferdes wahrnehmen und sich mit ihm verbinden kann.

Die wahren „Reitkünstler“ allerdings waren allerdings immer Menschen, die das Pferd in seinen Bedürfnissen spüren konnten, und bei denen sich das Pferd frei in seinem Körper entfalten konnte. Deshalb auch mein Lieblingsspruch:

„Ich fragte einmal einen alten Reitmeister nach dem Geheimnis seiner zutiefst engen Beziehung zu seinen Pferden. Der alte Herr lächelte fein und sagte „Ich fragte mich nie, was ich erlernen soll, um reiten zu lernen, sondern immer, was ich tun kann, dass ich den Körper des Pferdes dabei nicht störe“.

Im nächsten Abschnitt beschreibe ich deshalb, was der Mensch zu einem wahrnehmenden Reiten braucht.