Sicherheit und Vertrauen


– warum der Mensch für das Pferd so wichtig ist

Die meisten Pferde werden  gänzlich unvorbereitet  den neuen Belastungen, die ihm beim Menschen erwarten, ausgesetzt. Für das Pferd bedeutet dieser Einschnitt oft eine Extremsituation und damit eine völlige mentale und körperliche Überforderung. Die Reaktionsmuster, nämlich Flucht oder Buckeln, die es in seinen ersten Jahren gelernt hat, und ihm „normalerweise“ zur Verfügung stehen wenn es mit irgendetwas nicht fertig wird – funktionieren plötzlich beim Mensch nicht mehr – es wird dafür abgestraft. Völlig auf sich allein gestellt, ohne den Hintergrund seiner „Familienherde“ werden bisher erlebte und erfahrene Bewegungen abgespalten und eingefroren und durch neue „künstliche“ ersetzt.

Neue Herausforderungen

Allein dass dem Pferd der Weg nach vorne vom Menschen versperrt wird, es zurückgehalten wird und seine Bewegungen nicht mehr ausleben kann, ist eine enorme Herausforderung für ein Pferd. Nicht selten entsteht daraus ein Trauma für das Pferd, aus dem es sich kaum wieder erholt. Die Reaktion des Pferdekörpers – Bewegungen die nicht bewegt werden können, „wegzusperren“ und zu verdrängen ist zunächst ein kluger Schutzmechanismus. Nicht ausgelöst, endet das aber für das Pferd in Ausweichsstrukturen und Bewegungseinschränkungen.

Das „Rohmaterial“ der Bewegungen – die biologischen Motorik

Viele Pferde leben bis zu ihrem Tode mit diesen „verkapselten“ Bewegungen, die buchstäblich im Körper stecken geblieben sind. Sie zeigen oft nicht eindeutig zuordnende Krankheiten, Lahmheit oder Abrieb im Bewegungsapparat. Mental kriegen sie es erstaunlicherweise besser hin – denn es gibt für viele Pferde einen Menschen in ihrem Umfeld, der ihnen eine verlässliche Bindung bieten kann, oder es gibt vergleichbare günstige Bedingungen. Die Erinnerung an ihre biologischen Bewegungen liegt aber sozusagen als „Rohmaterial“ in ihrem Körper bereit.

Pferde können viel aushalten und viel verarbeiten, denn ihr Körper hat eine beeindruckende Fähigkeit geradezu perfektioniert: es ist ihr große Anpassungsfähigkeit an ihre Umgebung. Das ist dann auch die einfache Formel des biomotorischen Trainings. Tatsächlich „heilen“ die neuen Bewegungen die „Wunden“ der alten, belastenden. Vorausgesetzt, es türmt sich nicht wieder eine Belastung auf die andere.

Bewegung ist ein Kind der Sicherheit

Das Pferd ist von dem Sicherheits-Aspekt gleich doppel betroffen. Auf der einen Seite braucht es die Sicherheit und das Vertrauen zu seinem Körper, um freie Bewegungen ausführen zu können, andererseits braucht es als Herdentier und ausgeprägtes Gruppenwesen – das genetisch gewohnt ist, das die umgebenden Lebewesen einen schützenden Kokon um ihn bilden, die Sicherheit aus der Interaktion und Kommunikation heraus.

Wer so auf Sicherheit fokussiert ist wie das Pferd ist natürlich auch sehr leicht „angreifbar“ von außen. Das macht das Pferd so leicht manipulierbar. Denn das Gegenteil von Sicherheit – die Unsicherheit, oder sogar Angst, macht manipulierbar und abhängig  und erstickt in kürzester Zeit jede Art von eigener Bewegungsfähigkeit.

Kaum einer wird bestreiten, dass Zwang das Pferd in seiner Bewegung hemmt. Doch wann beginnt Zwang? Ist die zurückwirkende Hand schon Zwang, oder erst das Kopfgestell das auf das Genick drückt, das Gebiss dass die Zunge auf den Kieferboden drückt oder erst der Hilfszügel, der dem Pferd die Freiheit seiner Bewegungen nimmt? Ist eine Forderung auch schon Zwang, die dem Pferd die Sicherheit, und es damit von seinen eigenen Wahrnehmungen abtrennt – wie zum Beispiel die Idee des Menschen, den Kopf des Pferde hoch zu nehmen – oder, andere Philosophie – nach unten?

Aus dem Gleichgewicht

Doch auch allein auf sich gestellte Freiheit macht dem Gruppenwesen Pferd Angst und macht – so ganz auf sich allein mit sich gelassen, die Bewegungen unsicher und letztendlich eingebunden. Ein Pferd als Herdentier kann mit der im wahrsten Sinne des Wortes „grenzenlosen“ Freiheit nicht umgehen. Es braucht Orientierung, einen überschaubaren Raum, in dem es sich frei bewegen kann statt unüberblickbarer Weite – dass macht ihm Angst. Und fördert im Bewegungstier Pferd die Angst zur Flucht – es wird unkontrolliert schnell. Eine fatale Folge, wenn die Sicherheit im Körper fehlt.

Das Spiel mit der Angst

Mit dem Körper des Pferdes sollte nie leichtfertig umgegangen werden, denn wir wissen alle, dass sich Bewegungsfreiheit nicht erzwingen lässt. Trotzdem macht der Mensch genau das einfach – er setzt dem Pferd ein Kopfgestell auf,  nimmt ihm damit seine Sinne, schnürt den Kopf zu, trennt den Körper vom Kopf ab und zwingt das Pferd zu stereotypen Bewegungsmustern und Bewegungsverhalten. Damit das Pferd diese künstlichen, ihm fremden Bewegungen ausführen kann, trainiert der Mensch Muskeln, die das Pferd eigentlich gar nicht braucht. Denn das sind nur Muskeln, die das Pferd braucht, um Bewegungen auszuführen, die sein Körper noch nicht kann.

Macht es dann nicht viel mehr Sinn, den Körper für andere Bewegungen zu begeistern, die dann automatisch die richtigen Muskeln anfordern. Äußerst durchdachte und erfolgreiche Mechanismen im Körper des Pferdes helfen den Pferdekörper, die zu organisieren. Aber nicht, wenn er sich nicht mehr bewegen kann – wenn ihm Bauchgurte die Luft zum Atmen nehmen, wenn der Hals nicht mehr den ganzen Körper tragen kann und der Kopf von seiner Umwelt nichts mehr mitbekommt!

Aber wie lassen sich Bewegungsfreiheit und Sicherheit vereinen?

Auch da schielen wir wieder in die natürliche Herdengemeinschaft des Pferdes, die aber, im Unterschied zu heute, aus Familie bestand. Auf den ersten Blick gibt es natürlich keinen Unterschied zu erkennen, denn Pferdegemeinschaft ist Pferdegemeinschaft. Auf den zweiten Blick ist aber die Struktur der Familienherde ganz anders aufgebaut. Von der fürsorglichen Tante, der übervorsichtigen Oma, dem beschützenden Hengst, der Mutter an der man sich anlehnen kann, wenn man gerade das Bedürfnis hat bis hin zum forschen, herausfordernden Gleichaltrigen ist alles gegeben.

Die Sicherheit der Herde umgibt das Pferd und lässt ihn alle äußeren Gefahren mit anderen teilen. Irgendwann wird jedes Fohlen – je nach Charakter früher oder später – zum Entdecker und Erforscher seiner Umwelt. Mit diesen Bewegungserfahrungen prägt es seinen Körper aus, und passt ihn gleichzeitig an die Anforderungen seiner Umwelt an. So haben sich in den verschiedensten Regionen die unterschiedlichsten Rassen entwickelt.

Das Pferd kann – nach einem langen Entdeckertag – wohlbehalten in die Obhut der Herde zurückkehren und entwickelt im Idealfall während seiner Fohlenzeit das nötige Selbst- und Urvertrauen, dass es dann als erwachsenes Pferd durchs Leben trägt.

Ungelebte Urbewegungen

In der Umwelt, die wir heute unserem Pferd bieten können, sieht die Pferdewelt ein bisschen anders aus. Doch leider prägen sich auch Bewegungen, die nicht gelebt werden können, in den Körper ein und bestimmen das gesamte weitere Bewegungsleben des Pferdes – sehr oft in einer Spirale, die unaufhaltsam nach unten geht.

Beziehung hat nichts mit Erziehung zu tun

Insofern ist die heutige „Pferdeliebe“ ein zweischneidiges Schwert. Sie ist dann segensreich, solange es dem Menschen gelingt es in seiner körperlichen Funktionalität und der Körperplastizität weiter zu entwickeln. Versucht er jedoch das Pferd zu kontrollieren, seine Bewegungen zu hemmen und zu reglementieren, wird die Pferdeliebe zum schleichenden Gift im Körper des Pferdes. Denn dabei – und mögen die künstlichen Bewegungen die wir dem Pferd anbieten, noch so nett und knuffig sein – aber die wahre Natur des Pferdes rückt in die Ferne und damit auch seine Bewegungen und seine Bewegungsfähigkeit.

Auf der Suche nach Sicherheit gibt es wohl kaum ein Tier, das sich williger fügt als ein Pferd.                                                                                                                 

Aber was ist passiert – früher haben die alten Gesetze gegen das Pferd mit Kontrolle, Gewalt, Dominanz doch auch funktioniert? Ja, genau es ist der Faktor Angst, der beim Pferd dazu kommt. Der Mensch hat in früheren Zeiten nicht ansatzweise über das Pferd nachgedacht – Der Mensch war das Maß aller Dinge – und das Pferd hat sich untergeordnet – ein paar besondere Pferde haben vielleicht einen kurzen Widerstand gegeben, der aber sehr schnell erstorben ist. Aber dann waren sie in Sicherheit – es wurde zwar gegen ihren  Körper gearbeitet – aber der Mensch hat durch seine Dominanz dem Pferd so eine Sicherheit ausgestrahlt – dass es seine Angst vergessen konnte. (Die meisten Pferde wurden dadurch aber auch traumatisiert)

Heute ist es so dass der Mensch selber oft unsicher ist, und eben keine Sicherheit ausstrahlen kann aber genau dieselben Unterwerfungsmethoden anwendet wie eh und je – für das Pferd bedeutet dass: die Angst reitet immer mit. Die spür- und fühlbare Angst beim Menschen und seine Angst – Angst die durch die fehlende Kommunikation entsteht aber auch die begründete Angst, weil sich der unsichere Mensch in mechanische Hilfsmittel rettet. Nicht gerade die besten Voraussetzungen um die sanften Gefühle des Pferdes kennen zu lernen?

Dabei ist die körperliche Verbindung, die Synthese zwischen Pferd und Mensch gerade beim Reiten  überwältigend. Aber um ein Pferd zu verstehen, muss man sich selbst als in einem pausenlosen Kommunikationsprozess betrachten, weil sich auch Pferde mithilfe feinster Signale ständig verständigen. Die meisten Signale sind auf Bindungswunsch gerichtet, die wir ja eh gerne beantworten können.
Täglich danach zu streben, in kleinen biomotorischen Schritten, die die Zusammenhänge des Pferdekörpers verstehen – in allen Bereichen die das Pferd und unseren Körper betreffen – dafür lohnt es sich. Und dann besitzt auch das Reiten wieder das Potenzial, beide glücklich zu machen.