Körperentwicklung

Welches Pferd möchte nicht über sich erzählen. Über seine Welt. Über das, was es begeistert oder begeistert hat. Über das, was es beeindruckt, oder vor was es sich geängstigt hat. Ein Pferd teilt sich über seine Bewegungen mit, über seine Gefühle, seine Ängste, seine Erinnerungen. Jedes Pferd ist  einzigartig. Kein anderes Pferd hat deshalb dieselben Bewegungen, weil es andere Erfahrungen hat. (bitte betrachten Sie einmal ganz genau, was die zwei Pferde oben auf dem Foto über ihr bisheriges Leben zu erzählen haben).

„Ausbildungen“ oder ein gezieltes Training von Bewegungen verläuft dagegen ganz entsetzlich einseitig für das Pferd. Nehmen wir als Beispiel nur mal den „besten Fall“ – also ein Pferd, das nur durch Reiten in seinen Bewegungen „ausgebildet“ und „trainiert“ wird – mal ohne zusätzliche Mechanik betrachtet. Das Pferd macht jeden Tag dieselben Bewegungen, belastet in seinen alltäglichen Fehlbelastungen undzusätzlich belastet durch das Gewicht des Reiters, der es damit an einem Erforschen und Weiterentwickeln seines Körpers hindert und das Atmen einengt.

Nur die nach der Bewertung des Menschen „tollen Bewegungen“ sind dabei wichtig und beachtenswert. Ob das Pferd „untertritt“, ob es den Kopf in irgendeiner speziellen Höhe hat, ob es schwungvoll geht. Ob es die Beine schmeißt. Es sind Bewegungen, die sich für den Menschen gut anfühlen, vielleicht weil der Reiter dabei gut sitzen kann, oder sie gut kontrollieren kann, oder weil der Mensch sie ganz einfach gewohnt ist. Die der Reiter eben kennt.

Aber nur die eigenen Bewegungserfahrungen, auch die weniger guten, machen das Pferd reicher. Es sind die holprigen, ausprobierenden, testenden Bewegungen, die sich durch Fehler machen weiterentwickeln können,– und dadurch für das Pferd und seine Bewegungsentwicklung wichtig sind. Wenn das Pferd seine Bewegungen allerdings passiv ausführen muss, kann das Gehirn seine Bewegungsprozesse nicht zu Ende führen und seine Bewegungen nicht neu verbinden.

Also wird der Reiter die –  seiner Meinung nach –  „tollen Bewegungen“ immer wieder wiederholen wollen, in einer endlosen Endlos-Schleife. Die Nervensysteme des Pferdekörpers bekommen nach der 20igsten Wiederholung aber bereits nicht mehr mit, was sie speichern sollen und was nicht. Also sind die Gehirnareale, die für Bewegung zuständig sind, schon mal raus aus der Geschichte. Zurück bleiben die Muskeln. Und die Muskeln passen sich an die stereotypen Bewegungen an. Das können sie – und wo sie es nicht können, werden Ausweichstrukturen gebildet. So werden die Fehlbelastungen in den Körper des Pferdes zementiert.

Ausweichstrukturen bildet der Pferdekörper aus, um seine Gelenke zu schützen, wenn Bewegungen für die Gelenke ungewohnt, zu viel, oder zu überlastend sind. Ausweichstrukturen sind im Prinzip ein wahnsinnig toller Schutzmechanismus des Körpers und sollen, wenn das geschädigte Gelenk wieder in die Bewegung eingegliedert werden kann, wieder abgebaut werden. Solange kommt alles was an „Nährstoffen“ verfügbar ist, hinein in diesen wichtigen Schutz des Körpers.

So war der ursprüngliche Plan des Körpers. Was der Körper allerdings nicht bedacht hatte, ist, den Menschen, der diese Ausweichstrukturen sogar noch weiter trainiert, sie regelrecht aufbaut. Und sie regelmäßig „füttert“, mit den hochwertigsten ausgesuchten Nährstoffen, so dass das Pferd in kürzester Zeit fast nur noch aus Ausweichstrukturen besteht. Als worst case Szenario können wir uns die Bilder von aufgeblasenen Quarter-Hengst-Monster-Muskeln aus Amerika herholen – die garantiert nicht aus biologischen Bewegungen entstanden sind.

Also werden die Ausweichstrukturen wacker ernährt (sie müssen ja die Gelenke weiterhin vor Überlastung schützen – weil der Körper noch nicht „seine“ zum Körper passenden Bewegungen gelernt hat) und der übrige Körper läuft dabei auf Sparflamme – er verhungert regelrecht. Sie kennen sicherlich das Bild der sogenannten „Trageerschöpfung“ des Pferdes. Für mich ein absolutes Burn-out des Körpers.

Aber es kommt noch schlimmer. Denn diese Ausweichstrukturen erfüllen ihren Job gut (dafür sind sie ja auch entwickelt worden) Das heißt sie lenken die ursprüngliche Bewegung um, in der guten Hoffnung, dass irgendwann alles wieder ins sprichwörtliche Lot kommt. Aber auch da hat der Pferdekörper die Rechnung ohne den Menschen gemacht. Denn der behält die umgelenkten, und in weiterer Form schädlichen Bewegungen nicht nur bei, sondern trainiert sie auch noch extra und freut sich wie Bolle an den schönen „Muskeln“ des Pferdes.

Ja, dumm gelaufen für das Pferd – denn damit kommt es aus seinen schädigenden Bewegungsstraßen nicht mehr heraus. Und schädigt seinen Körper Tag für Tag. Stunde für Stunde. Ob es geritten wird (da kommt noch Last oben drauf) oder in seinem Alltag. Beim Stangen treten, Reiten trainieren, springen, ausreiten, spazieren gehen, im Offenstall rumstehen – oder in der Box. Immer. Die unausweichliche Folge sind Spannungen im ganzen Körper oder/und Abrieb der Gelenke. Denn mittlerweile können die Ausweichstrukturen die Gelenke auch nicht mehr vor der Fehlbelastung schützen.

Die einzige Rettung ist das Pferd in seine biologischen Bewegungen wieder zurück zu führen. Schritt für Schritt – jeden Tag ein bisschen. 168 Stunden in der Woche. Wie das geht? Indem man das Pferd in seine Biomotorik – in seine Eigenwahrnehmung führt, aus der die Körperplastizität entstehen kann.
Mehr dazu in den nächsten Artikeln.

Meine Gedanken über die Körperentwicklung des Pferdes:

Seit über zwanzig Jahren beschäftige ich mich in den biologischen Bewegungen des Pferdes – auch wenn es in den Anfängen noch nicht Biomotorik geheißen hat. Aber bei den vielen, vielen Pferden die ich gesehen habe, oder die ich in meiner Hand hatte – war kein einziges dabei, das einem anderen in seinen Bewegungen auch nur andeutungsweise geähnelt hätte.

Warum, und ich frage das ganz ernsthaft – warum bilden wir dann ein Pferd in den künstlichen Bewegungsmustern der verschiedenen Reitthesen aus, in denen alle Pferde dasselbe machen sollen? Von Reitthese zu Reitthese variiert die gewünschte zu erreichende Form des Pferdes allerdings gewaltig. Die einen möchten den Kopf oben gehalten wissen, die anderen zwingen ihn nach unten, und wieder andere lassen ihn einfach hängen. Allen gemeinsam ist, dass sie sich über den Unterhals des Pferdes wundern. (Aber das nur nebenbei!)

Umgangskultur

Zusammen mit der bewussten oder unbewussten Gewalt um dem Pferd etwas beizubringen ist die Vorsicht und Zurückhaltung weit verbreitet, mit dem Pferd offen, direkt und klar umzugehen oder es sogar zu „schonen“.  Damit ist das Pferd auf sich allein gestellt, und muss den Menschen versuchen zu verstehen.
Aber die Gefahr ist groß, dass so Missverständnisse im Umgang miteinander entstehen und sich verhärten. Für die Weiterentwicklung von Bewegungen ist es aber für das Pferd bedeutsam, dass es mit der Hilfe des Menschen seine Bewegungen überprüfen, reflektieren und ggf. regulieren und verbessern kann.