Kadenzierte Gänge

Das Anliegen eine Ausbildung des Pferdes sollte es sein, eine natürliche, gesunde Fortbewegung auch mit der Belastung durch den Menschen zu gewinnen, sie zu verfeinern und vor allem auch in den Alltag des Pferdes zu integrieren. Den kadenzierten Gang des Pferdes erkennt man an seinem harmonischen und „runden“ Bewegungsablauf. Die Gelenke des Pferdes bewegen sich federnd und der Pferdekörper reagiert – trotz dem Menschen auf seinem Rücken – wie selbstverständlich auf die Schwerkraft. Die Atmung und alle Stoffwechselvorgänge regulieren sich automatisch.

Das Pferd muss zur Kadenz alle drei Phasen seiner motorischen Entwicklung durchlaufen und absolvieren, um eben einen Menschen kadenziert und ohne Folgeschäden auf seinem Rücken tragen zu können. Es ist vom Menschen fast anmaßend zu glauben, dass das geniale hochkomplex und fein aufeinander abgestimmte Körpersystem des Pferdes nicht von einer menschlichen Einwirkung betroffen wäre und in seinem Gleichgewicht durcheinander gebracht wird – aber eines ist dabei ganz sicher, das Pferd wird zu hundert Prozent KEINE kadenzierten Gänge zeigen.

Denn schon die kleinste dauerhafte Veränderung im Organismus und Bewegungsapparat führt zu Fehlbewegungen der gesamten Wirbelkette, des Genicks, des Kiefergelenks, des Becken – ja einfach vom ganzen Pferdekörper – einschließlich seines Verhaltens. Und verhindert damit die kadenzierten Gänge des Pferdes.
Ob man sich den Preis eines dauerhaft kranken Pferde „leisten“ möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Die Kadenz des Pferdes jedenfalls bekommen wir nur dann vom Pferdekörper geschenkt, wenn alles mit allem, fein aufeinander abgestimmt ist. Die Kadenz braucht die Gelöstheit des ganzen Pferdes – einschließlich seiner Psyche.

Deshalb ist die Kadenz wie ein hochempfindlicher Seismograph und zeigt jede kleine Unebenheit des Pferdekörpers – besser gesagt, sie zeigt sich dann eben nicht (Vielleicht ist das der Grund, warum man ein Pferd in Kadenz kaum noch zu sehen bekommt…). In der Kadenz wirkt sich auf eindrucksvolle Weise aus, dass alle Muskeln – ohne Umleitung und Ausweichen und damit für jede Bewegung in der ganzen Bewegungskette passend – die Aufgaben leisten können, für die sie maßgeblich verantwortlich sind.

In der Kadenz werden die Muskeln des Pferdes wieder zu Freunden

Lange Zeit während den Entwicklungsphasen haben wir die Muskeln in Ruhe gelassen, und uns nur darum bemüht, sie aus den Überlastungen, Spannungen, Einschränkungen und Verhärtungen der Bewegungsbelastungen herauszuführen. Jetzt dürfen auch die Muskeln wieder ran!
Mit ihrer Federkraft, ihrem plastischen und elastischen Zusammenwirken geben sie zusammen mit der „Rückendeckung“ des übrigen Organismus dem Pferd nicht nur „Tragkraft“, sondern auch die „Kraft zu tragen“. Nun ist es für das Pferd kein Problem mehr den Menschen auf seinem Rücken zu balancieren.

Die Schönschrift der Pferdebewegung

Im Gegenteil: mit dem neu entstandenen Körpergefühl kann das Pferd sich mit der „Last auf seinem Rücken“ immer besser über seinen Gelenken zentrieren und sich durch die ständige Gleichgewichtssuche auch immer feiner austarieren. So genießt und profitiert nicht nur der Mensch von der Schönschrift der Pferdebewegung, sondern vor allem das Pferd, dass dadurch eine hocheffiziente, aufrechte Körperhaltung erwirbt, die nun dem Bewegungsspielraum der „großen Gelenke“ (Schulter- und Beckengürtel) nichts mehr anhaben kann und ihren Bewegungen nicht mehr im Weg steht.

Die einzelnen Wirbel – vom ersten Kopfwirbel an bis zum Becken-Lendenübergang – haben so genug Bewegungsfreiheit, um ihre wichtigen Aufgaben im Körper zu erfüllen und gewinnen von jeder Bewegung. Das miteinander funktionierende, in jedem Gelenk zentrierte und ausbalancierte Skelett des Pferdes trägt die Hauptlast der Schwerkraft mit Leichtigkeit und angeborener Körpermechanik. Die ausgewogene Muskelfunktion muss keine Haltekraft mehr aufwenden und kann sich ganz dem „Federn“ widmen.

Das harmonische Zusammenspiel „alles mit allem“ hält die Muskulatur elastisch. Die Körpermechanik wird immer leistungsfähiger, ausgeglichener, ist schmerzfrei und kann sich mit voller Intension auch um den „Unterhalt“ der Atmung und des Organismus widmen. Ein Pferd mit kadenzierten Bewegungen durchläuft einen ständigen Erneuerungs- und Regenerationsprozess. Und der Pferdekörper kann damit zeigen, dass er für Höchstleistungen konzipiert ist. Für die Höchstleistung des gesamten Körpersystems, mit höchster Präzision funktionieren zu können.

Ein anderes Reiten entsteht

Ich glaube, es ist fast unnötig zu sagen, dass mit der Kadenz im Gepäck ein anderes Reiten entsteht. Ein Reiten ohne Drücken, treiben, ziehen, stellen, biegen und zwingen. Ein Reiten, das raus aus dem Gehorsam des Pferdes geht, und rein in den Genuss, seine eigenen Bewegungen zu spüren. Bei dem sich das Pferd nicht mehr nach den Wünschen (und den Fähigkeiten) des Reiters bewegen muss, und bei dem Motorik UND Bewegung vermieden wird, sondern ein Reiten, bei dem DAS PFERD seine Bewegungen und seine Fähigkeit entfalten kann.

Es entsteht ein Reiten voller Abstimmung, gegenseitigem Einverständnis und viel Bewegungsfreude, die sich auch in der verbindenden Neugierde zeigt, neue Bewegungen gemeinsam auszuprobieren.

Ob sich Pferd und Reiter an Galopppirouetten, Schulsprüngen, Traversalen und Seitengängen, die den Reitplatz choreografisch (und nicht stereotyp) ausmalen, versuchen oder doch eher in wunderschön gesammelten, aus der Plastizität des Körpers heraus zelebrierten Piaffen – wer weiß das schon. Zumindest von körperlicher Seite steht nun Pferd und Reiter wirklich alles offen.

Das Seminar dazu:
Für die kadenzierten Bewegungen zahlt sich die Sorgfalt während der motorischen Entwicklungsphasen besonders aus. Eine Orientierung über den Verlauf der drei Phasen können Sie auf der Webseite nachlesen unter:

  • Bewusste Bewegungen
  • Gelassene Bewegungen
  • Koordinierte Bewegungen

Dennoch steht und fällt die motorische Entwicklung des Pferdes aber mit IHREN Handlungs- und Bewegungsimpulsen. Und genau um die geht es dann auch in den entsprechenden Kursen, die ich alle unter der Überschrift der BIOMOTORIK gebe. (Mehr zu den Kursangeboten unter „die Seminare dazu“)

Das Prinzip dahinter ist ganz einfach: je weniger wir in das Körpersystem eingreifen, desto leichter haben wir es beim Reiten – und dieses Nicht-eingreifen müssen wir erst wieder erlernen. Die Kadenz jedenfalls ist das Sinnbild des leichten, gelösten, gelassenen Reitens, bei dem sich Pferd und Reiter in ihren ganz persönlichen Fähigkeiten entwickeln und entfalten können.