Die Interaktion und der Weg zu neuen Muskeln

Bewegungen zu erlernen, ist für das Pferd außerordentlich wichtig. Und ob sie es glauben oder nicht: das Pferd lernt unheimlich gerne neue Bewegungen. Das mag sich verrückt anhören, wo doch die martialischen, oft grausamen Ausbildungsgegenstände, die heute zur „Standardausrüstung“ eines jeden Reiters und Pferdebesitzers zu gehören scheinen, eine völlig gegenteilige Botschaft vermitteln.

Das Lernen von Bewegungen bedeutet für das Pferd neue Bewegungserfahrungen, einen besseren Zugang zu seinem Körper, Weiterentwicklung, Bewegungsfähigkeit, kürzere Reaktionszeiten. Kurz: sein Überleben. Und ohne seine Freude an den eigenen Bewegungen, würde das Pferd nie über den Körperstatus hinauskommen, bei dem es seine Beine zum am Boden-fressen auseinandergrätscht, wie es das noch in seiner Fohlenzeit tut muss.

„Das Pferd bewegt sich nicht, damit es seine Umwelt wahrnehmen kann – sondern es nimmt wahr – damit es sich bewegen kann“.

In den vielen Jahren in der Pferdeausbildung, habe ich gelernt, dass fast jedes Problem – jedes Missverständnis in der gemeinsamen körperlichen Wechselwirkung, in der Interaktion Mensch – Pferd seine Wurzeln hat. Egal mit welchen Themen Reiter und Pferdebesitzer auf mich zukamen, am Ende ging es doch immer irgendwie um eine mangelhafte, aber so notwendige körperliche Verbindung zum Pferd, die uns wiederum spüren lässt, was das Pferd braucht.

Das „Lernkonzept“ des Pferdekörpers, bei dem Beobachtung und Wechselseitigkeit, ein unablässiges Reagieren, Agieren und Interagieren eine große Rolle spielen, zeigt uns, dass für den Pferdekörper nur das SINNvoll ist, was das Netzwerk des Pferdekörpers möglichst vielfältig stimuliert. Durch die Interaktion kommt die gesamte Dynamik des Pferdes in Gang, weil sie einen wunderbaren Domineffekt hat. Denn obwohl wir vielleicht nur einem Körperteil Aufmerksamkeit geben, bewegt sich plötzlich das ganze Körpersystem des Pferdes mit. Eine wunderbare Voraussetzung, damit das Pferd immer mehr zu SEINEN Fähigkeiten kommen kann.

„Falschen“ Muskeln kein Privileg geben

Das Pferd braucht den Kontakt zu Ihnen, um seinen Körper zu vernetzen. Und Sie brauchen den engen Kontakt zum Pferd, damit sie seine Hinweise nicht übersehen. Sowohl das Pferd als auch wir werden mit dieser Fähigkeit zum Dialog, zur Interaktion, zur Wechselseitigkeit geboren, bei der man sich aufeinander einstellen und voneinander Lernen kann. Eine isolierte Reaktion des Menschen, wie: „Ich mache etwas, weil es eine Regel ist“ zählt beim Pferd nicht, weil es die nicht wahrnehmen kann.

Jedenfalls war bei den vielen Pferden, die ich kennenlernen durfte, ganz sicher nicht ein einziges Pferd dabei, dass auf den Zug einer Reiterhand in seinem Maul gesagt hätte: „Ah, danke dass du mich im Maul ziehst und mich auf meine Reaktion hinweist. Ich hatte diese Reaktion, weil mein Genick schmerzt und ich meine Zunge nicht bewegen kann – aber jetzt höre ich gleich mal auf, mich festzumachen. Schönen Dank auch für den Tipp, auch wenn er weh getan hat“.

Ein Mensch kann zwar das Verhalten des Pferdes einengen und ausbremsen. Er kann auch die Muskulatur des Pferdes verformen – ziemlich leicht sogar – aber er kann ganz sicher NICHT über die Reaktionen des Pferdekörpers bestimmen. Tatsache ist, dass Druck, Zwang oder „du musst“ höchst selten (eigentlich nie) zu einer Änderung des Pferdeverhaltens führt, denn das „Verhalten“ ist immer ein Ergebnis des Körperzustandes. Und das können wir nur ändern durch? Richtig – durch Interaktion

Das Pferd kann im engen Zusammensein mit dem Menschen lernen, wie man kommuniziert und wie es Bewegungen findet, bei denen das Pferd durchatmen kann. Und – wie es mit uns, in Interaktion treten – uns begreifen und diese Erfahrungen in Bewegungen verarbeiten kann. Um genau diese Vorgänge geht es in der BIOMOTORIK: in den entkrampfenden „biomotorischen Übungen“ und im aufbauenden „biomotorischen Training. Sie sind leicht in der Anwendung und überzeugend in der Wirkung. Gibt es eine bessere Kombination für Reiter und Pferdebesitzer?

„Mein Pferd fühlt sich ganz leicht an – wie ein schwebendes Federn“. Oder auch: „Ich muss unsere gemeinsamen Bewegungen nur noch denken“ ist für mich das schönste Lob eines Reiters. Genauso soll sich Reiten anfühlen. Mit einem wunderbar beruhigenden Gefühl, bei dem sich die gelassene Souveränität des gemeinsamen Zusammenspiels in uns ausbreitet.

Ein Pferd so zu manipulieren, dass wir möglichst wenig seiner Reaktionen und Bewegungen spüren, ist wenig würdevoll für den Menschen. Um zum Menschen ein Zugehörigkeitsgefühl zu bekommen, wird sich das Pferd allzu stark an uns anpassen und verliert dabei das Gefühl für seinen Körper. Pferde können sich nicht mit Worten ausdrücken, doch WIR können lernen, das Pferd mit unserem Körper zu verstehen. Wenn WIR unsere Fähigkeit dazu trainieren, ist das mehr „Hilfe“ wie jedes „Hilfsmittel“ und jede fremde Bewegung, die wir dem Pferd beibringen.

„Das Ärgerliche an den falschen Bewegungen des Pferdes – die der Mensch ihm so gern beibringt – ist, dass der Mensch sich selbst damit schadet, ohne dem Pferd zu nutzen“.

Ich glaube wir liegen oft falsch, wenn wir meinen, dass vor allem die großen Bewegungen zählen – die Seitengänge, das Galoppieren oder die Kunststücke – das alles sind tolle Weiterentwicklungen des Pferdes, doch was wirklich zählt, sind zuerst die alltäglichen Interaktionen. Mit Neugier und Irrtum auf beiden Seiten, werden sie schließlich äußerst befriedigend für sie beide und ihren gemeinsamen Weg sein und geben dem Pferd die Möglichkeit sich mit Ihnen – frei zu bewegen.

Fazit: Reiten ist und bleibt Teamwork. Es ist die reinste und ursprünglichste Form der Interaktion und wichtig, damit das Pferd „im Fluss“ seiner Bewegungen bleibt. Unsere Aufgabe ist es, das Körpersystem des Pferdes vorher so zu unterstützen, dass sich der Pferdekörper auch während der Belastung des Reitens jederzeit selbst wieder in die Balance bringen kann. Sonst bleibt das Reiten eine muskuläre Körpermonokultur – und was das anstellt, wissen wir mittlerweile zur Genüge.

Aber wie auch immer: das Reiten über die Interaktion der beiden Körper hat einen Vorteil: es kommt unserem und dem Bedürfnis des Pferdes entgegen, etwas ganz Besonderes zu sein. Und das hat mindestens das Pferd – wirklich verdient.
Nicht nur aus diesem Grund ist eine Ausbildung durch die Interaktion zwischen Mensch und Pferd – eine „besondere Ausbildung“.

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