Der „falsche“ Atem

Besonders in Stresssituationen, oder wenn es sehr heiß oder staubig ist, der Pollen fliegt oder auch sehr kalt ist, wird die „falsche“ Atmung besonders auffallend. Dann sieht man es dem Pferd an, wie es für jeden Atemzug kämpfen muss, aber auch wie belastend, ja sogar lebensbedrohend eine „falsche Atmung“ für das Pferd sein kann. In diesen Momenten wird das „falsche Atmen“ auch für uns erkennbar.

Stress nimmt dem Pferd die Luft zum Atmen

Doch wir dürfen uns nicht täuschen lassen. Eine Atmung ist nicht erst dann falsch, wenn das Pferd nicht mehr durchlässig atmen kann – das sind Extremsituationen, in denen der Pferdekörper wirklich nicht mehr weiterweiß und es nichts mehr gibt, womit er kompensieren und ausgleichen kann. Aber die Konstellationen im Pferdekörper, die eine „falsche Atmung“ im Pferdekörper erwirken, haben – manchmal lange vorher – bereits im Organismus ihr Unwesen getrieben, bis es dann – angetriggert durch zu viele Faktoren der Umwelt – zur „Atemkrise“ des Pferdes kommt.

Der instinktive Zwang zum Atemholen

Der Atemvorgang verläuft instinktiv, ausgelöst über unbewusste Atemreflexe – das sind die neuronale Steuervorgänge der Atmung, die bis auf die Zellebene gehen (Atemreflexe stellen z.B. auch sicher, dass das Pferd während des Schlafes genügend Sauerstoff eingeatmet). Aber der Atem hat auch „Feinde“ und Gegenspieler im Körper. „Atemkiller“ sind z.B. einseitige Bewegungen und in Folge einseitige Gelenkbelastungen. Auch wiederkehrende Bewegungen mit einem viel zu kleinen Bewegungsspielraum – bis an die Belastungsgrenze der Gelenke, ersticken den Atemverlauf.

Aber allem voran ist es die Unfähigkeit der zusammengeschobenen Wirbelkette sich zu verlängern. Ein Pferd, dass sich nicht in sich aufrichten kann, wird deshalb immer ein Thema mit seiner Atmung haben. (wie der Mensch übrigens auch). Durch die durchlässige Selbstaufrichtung (die Betonung liegt auf „selbst“) können die alltäglichen Belastungen gleichmäßiger auf die einzelnen Wirbel verteilt werden, die alle miteinander den ihnen zugedachten, individuellen Bewegungsspielraum brauchen.

Die Gefahr geht von den stärksten Muskeln aus

Durch das Kompensieren und Ausgleichen der Muskeln kommt das Pferd erstaunlich schnell in gefährliche Gewohnheiten. Die größte „Gefahr“ geht dabei tatsächlich von den stärksten, vitalsten Muskeln aus, die – vielleicht noch durch Muskeltrainings gestärkt, das Körpersystem dort zerstören, wo es am anfälligsten ist – das heißt am schwächsten Muskel. Was in der Folge über die Strukturen auch Gelenke und Wirbel betrifft.

Der Muskelaufbau wird oft gründlich missverstanden. So wichtig wie der Aufbau von ATEMMUSKELN auch ist – geht es nicht darum „dicke“ Muskeln aufzubauen, sondern vor allem darum die Muskeln, die den Atem des Pferdes behindern, abzubauen. Es ist wie im wirklichen Leben: wenn man seinen Krempel nicht wegräumt, steht er im Weg rum. Genauso sind die „dicken“ Muskeln dem Atem im Weg, sie benötigen permanent wichtige Energie und verkomplizieren den Atemfluss. Weg damit! – für den Atem ist weniger oft mehr.

Erst wenn das Netzwerk des Körpersystem die für den freien Atemfluss nötige Plastizität bekommt, um sich auch neuen Herausforderungen, Reizen und Informationen anzupassen, dann kann der Atem in praktisch jeder Situation angepasst und reguliert fließen. Und – desto mehr Möglichkeiten hat der Pferdekörper, sein Atemnetzwerk auch in Krisen- oder Belastungsmomenten zu verändern und sogar dadurch zu optimieren und zu verbessern. Der Pferdekörper wächst dann an seinen Aufgaben.

Wenn ihr Pferd also ein weiträumiges Thema mit seiner Atmung hat, forschen sie doch am allerbesten zuerst in den Funktionen des Körpersystems, seiner Körpermechanik, in der Verfügbarkeit und in der Bewegungsfähigkeit des Pferdekörpers. Um dann nach den richtigen Mitteln und Wegen suchen zu können, die die Atemaktivität in der Ursache unterstützen. Dann brauchen Sie nicht länger auf falsche Maßnahmen zu setzen, die das Pferd möglicherweise passiv zwingen, seine eigenen Atmungsmöglichkeiten noch mehr abzubauen.

Zu wissen, dass der Pferdekörper dort, wo er sich am wenigsten bewegen kann, auch am schlechtesten seinen Atem „durchlässt“, hat so gesehen auch etwas Positives. Denn jetzt verstehen Sie besser, dass es sinnlos ist, den Pferdekörper dort noch mehr zu trainieren und ihm „dicke Muskeln“ aufzubauen. Sparen Sie sich die Energie für das Atemnetzwerk.

Weil wir, wenn wir dem Atemverlauf nachgehen, wie bei einem Fluss sehen, wo sich Atem staut, nicht durchkommt, verengt oder versperrt ist, habe ich für Sie eine kleine Checkliste zusammengestellt, um zu festzustellen welche erweiterungsfähigen Atembewegungen Sie BEI IHREM PFERD erkennen können? (am besten zu sehen nach schnelleren Bewegungen, wenn der Atem in Bewegung kommt (oder kommen sollte).

1. Welche Bewegung des Bauches und des Rippenkorbes können Sie beobachten?

  1. der Rippenkorb geht beim Einatmen nach außen und gleitet beim Ausatmen sachte in die Ursprungsstellung zurück.
  2. Das Pferd atmet in den Rippenfreien Bereich – in die Flanke. Der Rippenkorb bleibt dabei unbeweglich und ist in einem Spannungszustand oder hat einen „geblähten Bauch“. Man sieht dabei nicht, dass es den Rippenkorb zur Atmung erweitern kann, sondern dass in den Rippenfreien Bereich atmen muss – in die Flankenatmung.
    (Übrigens: Bronchienerweiternde Mittel sind zwar dabei eine akute Hilfe – aber keine nachhaltige Verbesserung des eingeschränkten Atemverlaufs)

2.  Hat das Pferd eine Einseitigkeit oder Schiefe? (Beeinflusst die Zwerchfellatmung)

  1. das Pferd ist ohne fremdes Zutun „Geradegerichtet“ – also ausgerichtet und damit auch aufgerichtet
  2. das Pferd hat eine ausgeprägte Schiefe und belastet dementsprechend auch die Hufe unterschiedlich

3. Welche Beckenbewegung hat ihr Pferd im Alltag

  1. Das Becken ist ständig nach vorne gekippt
  2. Das Becken ist ständig nach hinten gekippt
  3. Der Becken-Lendenübergang ist festgehalten und gespannt – das Pferd führt als Ausweichbewegung eine links/rechts Bewegung der Hüfte aus
  4. Das Pferd „federt“ im Becken-Lendenübergang

4. Wie sieht der Hals/Schulterübergang aus?

  1. Der Hals „hängt“ und wird vom schweren Kopf nach vorne „gezogen“
  2. Das ganze Pferd ist nach vorne gekrümmt
  3. Die Halswirbelkette erhebt sich frei aus der Halsbasis heraus. Der Kopf kann aufgerichtet „getragen“ werden.

5. Wie ist die „Knochenarbeit“ des Vorderbeines?

  1. Das Vorderbein ist stabilisiert – das Buggelenk kann sich nicht frei in einer Art Zick-Zack Bewegung der Gelenke nach vorn bewegen.
  2. das Buggelenk geht bei jeder Bewegung über die Brust hinaus.

6. Wie ist die „Knochenarbeit“ des Hinterbeines?

  1. Der Hüftknochen bewegt sich nicht – dafür geht das Knie weit in die Bewegung hinein
  2. die Hüfte ist mit dem „federnden“ Becken-Lendenübergang verbunden. Das Bein ist frei beweglich in der Hüfte. Das Knie geht „einfach mit“

7. Wie bewegt sich der Rücken?

  1. Hat jeder Wirbel im Rücken genug Bewegungsspielraum zu seinem „Nachbarn“?
  2. Ist der Rücken unbeweglich und fest eingepackt von „dicken Muskeln“?
  3. oder schauen die einzelnen Wirbel sogar raus?

8. Wie fußt das Pferd auf?

  1. Das Pferd kann bei jedem Schritt mit dem Huf einen guten Kontakt zum Boden finden. Es rollt über den ganzen Huf ab und trifft durch eine gute Bewegungsaktivität der Fußgelenke zentriert auf.
  2. Das Pferd trifft auf die Trachten auf, dadurch wird der Huf schnell abgelaufen und die Zehe zu lang.
  3. Das Pferd trifft punktuell auf den Huf auf – das Vorderbein ist stabilisiert und kann den Aufprall kaum abfedern.

Das sind wirklich nur ein paar Hinweise (von vielen) des Pferdekörpers, die sie aber bestimmt für den freien Atemfluss im Pferdekörper weiter sensibilisieren.

Das Fazit:

Umso vielfältiger und intensiver die Einflüsse der Umgebung oder der Stress des Pferdes ist, desto ausgeprägter muss die Atemvernetzung im Pferdekörper sein – denn der Atemvorgang im Pferd ist ein Teamwork des ganzen Körpers. Und ohne eine freie, durchlässige Wirbelkette geht buchstäblich nichts – weder in der Atmung noch in den Bewegungen. Die Nervenimpulse sind die Spezialisten für die Atmung – aber auch sie brauchen eine verlässliche Mannschaft an elastischen Muskeln und Strukturen, die sich um die Umsetzung kümmern.

Wollen Sie mehr über dieses Thema erfahren – dann besuchen Sie mich doch per email (biomotorik@gmx.de) oder in Facebook unter „die Biomotorik des Pferdes“ und „Monika Buhl – Atembewegungen“.