BIOMOTORIK

Auf einmal wird Reiten einfach

Auf den ersten Blick könnte man denken, das die Sichtweise der Biomotorik – das Pferd in seinen körperlichen und organischen Funktionen, in seinem ungestörten Skelettbau und dem grandiosen Zusammenwirken seines Bewegungssystems zu sehen – ein völlig neuer Blickwinkel ist.

Doch der erste Blick täuscht, denn in der Geschichte der Reiterei gab es tatsächlich viele Epochen, die dem Pferd keine der Natur des Pferdes zuwiderlaufenden Handlungen abforderten, sehr wohl aber eine aus Vertrauen zum Menschen und einer körperlichen Bewegungsausbildung resultierende Leistungsbereitschaft, vom Pferd mit seinem Menschen entstehen ließen. Das Ziel war immer, dass das Pferd mit dem Menschen eine symbiotische Verbindung eingehen konnte. In diesen Epochen wurde dementsprechend ein symbiotisches Reiten gepflegt und bis zur Kunst verfeinert.

Die Ziele von damals unterscheiden sich sehr von den heutigen Ziele, in denen man dem Pferd Bewegungen beibringt und Bewegungsmuster abfragt. Man begleitete das Pferd im Prozess seiner körperlichen Entwicklung – um in allen Phasen der Bewegung, die Ungleichgewichte im Körper des Pferdes so gut es geht zu eliminieren und in ausdrucksvolle Bewegungen zu wandeln.

Es ist eine ganz besondere Art und Weise, wie sich ein Pferd mit geschulter Gleichgewichtsfähigkeit bewegen kann. In der Ausbildung wurde Wert darauf gelegt, dass das Pferd selbst eine – durch die verschiedenen Phasen der Ausbildung erweiterte – Körperhaltung einnehmen kann. Man wollte, dass das Pferd alle vier Beine gleichzeitig belastet, gelenkschonend abrollen, den schweren Kopf mühelos auf seinem Hals tragen und sich deshalb in seinen Schultern geschmeidig bewegen kann.

Die Ausbilder wussten, wenn sie die Gleichgewichtsfähigkeit des Pferdes schulen, kommt die Bewegungsfähigkeit ganz von selbst und muss vom Menschen nur noch in die gewünschte Richtung gelenkt werden. Durch die entstehende Tragkraft der Hinterbeine und die kraftvollen Hanken wurde der Schwerpunkt immer mehr Richtung Hinterbeine verlegt und der Rahmen des Pferdes – den verschiedenen Phasen der Bewegungsentwicklung entsprechend – auf natürliche Weise „zusammengeschoben“ (das Pferd hat sich gesammelt) sich in der Oberlinie „angehoben“ und über dem Widerrist aufgerichtet (das ist übrigens der ursprüngliche Begriff des „runden Rückens“)

Die Muskeln im Weg
Aber nicht Spannungsaufbau, Muskeln oder Muskelkraft bringen diese physische Verfassung des Pferdes, so ganz ohne Spannungszustände hervor – denn es setzt die Fähigkeit des richtigen Zusammenspiels der Muskeln voraus. Alles andere bringt das Pferd nicht weiter, sondern nährt und verstärkt nur die jeweiligen Ausgangszustände des Pferdes.

Allen angelernten oder antrainierten Bewegungen fehlt also als entscheidende Komponente die Bewegungsfähigkeit des Pferdekörpers, die nur die eigene Gleichgewichtsfähigkeit hervorbringen kann – die aber von Gewohnheitsmustern, Spannungszustände, Strukturverkürzungen, Gelenksverzerrungen, Bewegungseinschränkungen und Widerständen überlagert wird.

Natürlich kann man die Bewegungen des Pferdes auf ihre reiterliche Ausführung reduzieren, den Pferdekörper dabei formen und umformen – und all das wird das Pferd mittun. Das Pferd wird dabei Bewegungen ersetzen, die es ursprünglich konnte, um anstrengende, aber von ihm ungewollte Bewegungen zu erlernen. Es wird sich sogar vom Menschen Bewegungsmuster antrainieren lassen, die für Pferdekörper so gar keinen „Sinn“ machen und in seiner Welt nicht wichtig sind. Warum das Pferd das trotzdem so bereitwillig macht? Die Antwort liegt wohl in der Natur des Pferdes: es möchte sich an uns anpassen.

Aber letzten Endes wir immer etwas fehlen: es ist das gewisse Etwas, die besondere Ausstrahlung, die von einem Reiter und seinem Pferd ausgehen, die einfach schön wirken, weil sie sich in ihrer Gemeinsamkeit völlig selbstverständlich bewegen. Es ist diese unnachahmliche lässige Ruheposition der Körper in voller innerer Dynamik. Es ist das geschmeidige, gegenseitige an sich Auf- und Ausrichten der beiden Körper und der verbindende Fluss der gemeinsamen Bewegungen.

„Das Pferd soll Freude an seiner Bewegung haben, dann kommen seine natürliche Anmut und Leichtigkeit, seine Kraft und sein Stolz zum Strahlen und überträgt sich auf den Reiter“. Xenophon

Reiten allein reicht also nicht – und wenn wir ehrlich sind, reicht das schon lange nicht mehr aus. Eine Schulung der Gleichgewicht- und Bewegungsfähigkeit bedeutet heute in erster Linie einen Schutz des Bewegungssystems des Pferdes und immer wieder die Befreiung von den einseitigen, einschränkenden Bewegungen des Alltags.
Die Bewegungsumwelt vom Pferd – aber auch die des Reiters haben sich dramatisch und deutlich sichtbar verändert. Die heutige Zeit wird weder dem Bewegungsbedürfnis des Pferdes noch dem des Menschen gerecht. Die Funktionen und Funktionsweisen, der Organismus und das Bewegungssystem der Körper brauchen „Ergänzungen“, die in der heutigen „Natur“ nicht mehr zu bekommen sind.

Eine Bewegungsentwicklung mit zu vielen betonierten Wegen, auf denen sich das Gleichgewicht nicht ausprobieren kann, mit viel zu vielem Sitzen oder Stehen (beim Pferd) und bei dem sich die hochkomplexen Sinnesantennen nicht entfalten können und von einer natürlichen Bewegungsausprägung wegführen, beginnt schon früh – oft schon im Kindes- bzw. im Fohlenalter und die unausweichlichen Folgeerscheinungen – die Muskelschwächen, Knochen-, und Stoffwechselveränderungen scheinen dadurch immer „normaler“ zu werden.

Aus diesem Grunde weisen die meisten Pferde zunehmend größer werdende Defizite in funktionaler Hinsicht – aber auch im Verhalten auf, denn der gesamte Organismus des Pferdes wird nicht mehr von vielfältigen Anreizen geformt, sondern von einseitigen Informationen. So gewöhnt sich schon der heranreifende Körper des Pferdes daran, dass eingeschränkte Wahrnehmungen an die Reize des Menschen gebunden sind. Das Bewegungsausmaß wird damit konstant verkleinert – und die Freude an Bewegungen vergeht dem Pferd und damit auch dem Reiter.

Der zunehmende Bewegungsmangel setzt sich natürlich beim Reiten, unter der Belastung des Reiters verstärkt – weiter fort. Alle Technologien, die eine Bewegungsvermeidung unterstützen, Regeln und Konditionierungen, bedeuten für den Pferdekörper mehr und mehr eine Verschiebung von aktiven-körperlichen, hin zu passiven-kontrollierenden Bewegungen – und bringen Pferd UND Reiter immer weiter weg von eigenen intuitiven Körpergefühl.

Das Vertrauen zu den körperlichen Reaktionen und Handlungen des Menschen ist die Voraussetzung für das feinmotorische Körpergefühl des Pferdes. Vernebeln wir die Sinne des Pferdes, führt das jahrzehntelang von einem Problem zum nächsten. Reitprobleme entstehen aus schlaffen Gewebe, gespannter, überlasteter Muskulatur, Ausweichstrukturen und viel zu viel leeren Bewegungen. Der Pferdekörper spielt permanent ein falsches Spiel und wird genauso falsch von uns „bespielt“.

Die Summe daraus, führt nicht nur zu einem akuten Mangel an „nahrhafter“ Bewegung, sondern bedeutet den Verlust, den eigenen Körper sensibel wahrzunehmen und um die körperlichen Grundlage – die Gleichgewichts- und daraus entstehenden Bewegungsfähigkeit aufzubauen.

Stoffwechsel- und Atemerkrankungen, und auch der allgegenwärtige Skelettabrieb sprechen da eine sehr deutliche Sprache, die man nicht übersehen darf, denn immerhin – ein Pferd ohne seine primordialen (ursprünglichen) Bewegungsanlagen, bleibt auch nicht lange reitbar. Spätestens dann sollte jeder Mensch, der sich auf ein Pferd setzen möchte, aufhorchen!

Körperlicher Stress nimmt Mensch und Pferd die Luft zum Atmen
Es ist nur logisch, dass mentaler Stress und körperliche Anspannung (Spannungszustände, hoher Muskeltonus) sich auch in der Atmung widerspiegelt. Die Verspannungen, Verengungen, der nach vorne fallende Kopf und das damit verbundene Absinken des Brustkorbes behindern die Zwerchfell-Atmung. Aber auch die Ausatmung – die „Abfallentsorgung“ wird behindert, weil die so überhaupt nicht mit Spannungszuständen umgehen kann.

Den Körper des Pferdes wachsen lassen
Wir müssen alles dafür tun, um die natürlichen Bewegungsformen des Pferdes in ihren natürlichen Wirkungen zu „befreien“ und zu erhalten. Den Körper des Pferdes in all seinen Facetten und Funktionsweisen auszubilden, sollte deshalb nicht nur ein Ziel sein, sondern eine Reise durch die Phasen der Bewegungsentwicklung des Pferdes bedeuten.

Zurück ist immer die falsche Richtung
Gleichzeitig müssen wir als Mensch umdenken und statt am Pferd an UNS arbeiten, damit wir die Bewegungen des Pferdes nicht länger ängstlich kontrollieren müssen. Die „Biomotorik“ begleitet die Fähigkeiten von Pferd und Mensch mit einem anderen Verständnis, hinein in eine aufbauende, in jedem Moment positive Reitentwicklung in ihren drei Phasen und voller Bewegungsfreude – und schafft damit die körperliche Grundlage für jede Art des Reitens.

Die „Biomotorik“ öffnet den Blick für das Offensichtliche: es ist der verbindende Muskeltonus – ganz ohne Spannungszustände – es ist die Gleichgewichtsfähigkeit unseres Körpers, damit wir dem Pferd seine Bewegungen erleichtern können und es ist die verfügbare Bewegungsfähigkeit des Pferdekörpers, dass letzten Endes ein kadenziertes, symbiotisches Reiten entstehen lässt.

Erst die die freien, ungebundenen, selbstverständlichen Bewegungen von Mensch und Pferd gemeinsam führen zu dieser Wirkung. Die „biomotorischen Bewegungen“ für das Pferd und die „Placements“ für den Menschen unterstützen den Menschen und den Reiter dabei, um den traditionellen und gewohnten – aber extrem einschränkenden Kreislauf zu durchbrechen – in den wir uns gebracht haben, und stattdessen den Körper des Pferdes genauso wie den des Menschen in seinen angeborenen Fähigkeiten entstehen und entfalten zu lassen.

Viel Bewegungsfreude mit der BIOMOTORIK
wünscht Ihnen Monika Buhl